„Das Kind in uns“ ist ein vielzitiertes Phänomen, welches auch etwas darüber aussagen soll, wie gut es uns gelingt, jung zu bleiben. Neulich wurde mir bewusst, dass man dies nicht falsch verstehen sollte, weil es sonst nicht funktioniert. Aber eins nach dem anderen. Machen wir es uns erstmal gemütlich!
Entspannt lehne ich mich auf meinem Campingstuhl zurück und setze das Glas mit dem frisch gezapften Bier an. Ich schließe die Augen und genieße den Moment. Die Junisonne ist gerade dabei, den Kampf gegen die letzten Regenwolken zu gewinnen und scheint uns zuzurufen: „Keine Sorge! Ihr bekommt euer sonniges Wochenende, auf das ihr euch schon so lange gefreut habt!“. Hinter uns liegt eine anstrengende Arbeitswoche und vor uns ein ganzes Wochenende auf dem Campingplatz am See. Kein Programm, keine Pläne, keine Verpflichtungen. Die einzige Verpflichtung besteht vielleicht darin, das große Fass Bier, welches Marc hinter der Heckklappe seines Wohnmobils installiert hat (inklusive Zapfanlage und Kühlung natürlich) bis zum Sonntagmorgen leer zu bekommen. Top, die Wette gilt! Es ist ja gerade erst einmal Freitagnachmittag. Wir haben noch alles vor uns und vor großen Biervorräten haben wir uns noch nie gefürchtet. 🍻
Eine Bierzapfanlage im Camper? Leicht dekadent, kann man sich aber mal gönnen.
Willkommen bei unserem „Kumpelcamping“, welches seit ein paar Jahren zu unserer Tradition geworden ist. Wir kennen uns alle schon seit Schulzeiten. Und wenn man seit der frühen Jugend gemeinsam abhängt, zur Schule gegangen, zusammen gelernt hat (oder auch mal nicht), unzählige Parties gefeiert und unendlich viel Quatsch geredet und gemacht hat, bekommt man ziemlich viel vom anderen mit. Jetzt, wo wir alle um die 50 sind, wissen wir mittlerweile so viel voneinander, dass es weder möglich noch nötig ist, sich in irgendeiner Weise zu verstellen oder gar etwas darstellen zu wollen, was man nicht ist. Hier ist es wirklich irrelevant, wie erfolgreich du im Job bist, wieviel Personal du möglicherweise zu managen hast oder wieviel Umsatz dein Unternehmen macht. Es spielt einfach keine Rolle.
Hirn aus, Grill an!
Das sind die besten Voraussetzungen für ein Wochenende wie dieses, wo man sein Hirn auch problemlos an der Schranke zum Campingplatz abgeben darf, ohne dass es einem übel genommen wird, weil man dann möglicherweise zu viel dummes Zeug redet. Es gibt hier keine Messlatte für Anstand und Niveau. Und wenn, dann läge sie traditionell in etwa auf Höhe der Grasnarbe. Es ist unsere ganz eigene verbots- und peinlichkeitsfreie Zone. Dummes Zeug ist ausdrücklich erwünscht. Und selbst, wenn ich mich zu den kindischsten Kindereien hinreißen lasse – es ist egal! Wir lachen und albern gemeinsam wie seit 35 Jahren, während aus unserer viel zu leistungsstarken Bluetooth-Box Musik ertönt, die mit uns gemeinsam alt geworden ist und die meine Kinder als „Oldies“ bezeichnen würden, wenn es diesen Begriff unter Teenagern überhaupt noch gibt. Und so sitzen wir hier gemütlich und entspannt in vertrauter Runde um unseren Campingtisch herum, der sich allmählich mit festen und flüssigen Köstlichkeiten aller Art füllt und leert und füllt und leert … Auf dem Grill brutzelt es und mir steigt dieses typische Campingplatz-Grill-Aroma in die Nase, während sich der Abendhimmel allmählich rötlich färbt. Kann jetzt bitte mal jemand die Zeit anhalten?
Es gibt hier keine Messlatte für Anstand und Niveau. Und wenn, dann läge sie in etwa auf Höhe der Grasnarbe.
Unbemerkt erwachsen geworden?
Aber es hat sich in den letzten Jahren kontinuierlich und für die meisten fast unbemerkt eine Veränderung eingeschlichen. Das wird mir an diesem Wochenende erstmalig so richtig bewusst. Es sind unsere Gesprächsthemen. Die Phasen, in denen wir wie gewohnt herumalbern, wechseln sich immer häufiger mit denen ab, in welchen wir Themen besprechen, die es früher irgendwie nicht gab und die alles andere als lustig sind.
So gibt es zum Beispiel in unserem Freundeskreis erste Krebserkrankungen. Das ist natürlich etwas, was jeden von uns betroffen macht, beschäftigt und ängstigt. Außerdem sind einige von uns vor Kurzem Halb- oder Vollwaisen geworden und können ihre Eltern nur noch auf dem Friedhof besuchen. Andere suchen händeringend nach Lösungen, um die Pflege ihrer noch lebenden, jedoch kranken Eltern zu organisieren. Dann gibt es hier und da erste Midlife-Crisis-Erscheinungen. Nicht jeder liebt seinen Job, findet aber auch nicht den Absprung. „Ich verdiene einfach zu gut, als dass ich jetzt nochmal irgendwas Anderes anfange.“ Das ist eine beliebte Argumentation, um alles so zu lassen wie es ist, auch wenn es einen ankotzt. Die 15 Jahre bis zur Rente könne man jetzt auch noch die Arschbacken zusammenkneifen. Apropos Arschbacken: Darmkrebsvorsorge und Hämorrhoiden fehlen auch nicht auf der Agenda und erstmalig geht es auch um Pro und Contra zum Thema Vasektomie. Die Familienplanung ist bei den meisten von uns abgeschlossen, also wird die Frage diskutiert, ob „Mann“ denn jetzt noch unbedingt scharf schießen können muss. Und dann machen sich viele von uns noch Gedanken darüber, was wohl aus den eigenen Kindern werden wird. Erziehung, Schule, Ausbildung, Studium, Partnerschaft, es gibt ja unzählige Gründe, sich über die Zukunft seiner Kinder zu sorgen, selbst wenn es akut gerade keine Probleme gibt. Ich glaube, es ist einfach menschlich, dass wir uns Sorgen um mögliche Probleme machen, die dann doch nie eintreten.
Da sind sie wieder einmal, die guten alten Zeiten
Ich denke zurück an die Zeiten, die Menschen in unserem Alter als „die guten alten Zeiten“ bezeichnen und damit ihre weit zurückliegende Jugend meinen. Ich frage mich, was denn eigentlich so gut daran war. Wir hatten doch damals auch unseren Stress mit allem Möglichen. Ich glaube, die guten alten Zeiten fühlen sich hauptsächlich in der Rückschau so besonders gut an. Denn erst heute wird uns klar, wie sorglos und wie wenig verkopft wir damals an bestimmte Dinge herangegangen sind und was für ein Privileg darin steckte, einen Großteil von Überlegungen, Verantwortung und Entscheidungen den Eltern überlassen zu können. Wenn wir abschalten wollten, reichte ein Abend in der Disco. Heute brauchen wir mindestens ein Wellness-Wochenende im Spa-Hotel, 3 Wochen Urlaub am Stück oder besser noch ein ganzes Sabbatical, um mal vernünftig runterzukommen. Der gravierendste Unterschied zwischen damals und heute liegt für mich aber in der Tatsache, dass ich mir in meiner Jugend kaum Gedanken über meine eigene Endlichkeit gemacht habe. Alles stand auf Anfang. „Hey ho, let’s go!“ 🤙 Doch das ist heute anders.
Keiner kommt hier lebend raus!
„Keiner kommt hier lebend raus!“ Ich weiß nicht genau, von wem dieses Zitat im Original stammt, jedenfalls geht es dabei nicht um eine Geiselnahme, einen Banküberfall oder einen Amoklauf. Es geht um das Leben an sich, welches in letzter Konsequenz immer tödlich ist, für jeden von uns! Die Frage ist nur, wann. Das wissen wir zum Glück nicht, doch an diesem Wochenende sind auch die größten Clowns und Sprücheklopfer unter uns streckenweise ein wenig ruhiger und nachdenklicher als in den Jahren zuvor. Liegt das vielleicht auch irgendwie an dieser Endlichkeitserkenntnis, die sich in der zweiten Lebenshälfte bei uns allen durchsetzt? Vielleicht mache ich mir auch mal wieder nur viel zu viele komplizierte Gedanken. Aber wäre es nicht auch sehr befremdlich, wenn wir uns hier heute mit 50 noch genauso verhalten würden wie mit 15?
Jungbleiben? Erreichen wir das mit Albernheiten, kindischen Sprüchen und Trinkspielen?
Wer hat gesagt, dass wir mit 50 nicht offen sind?
Die ewige Jugend ist uns nun einmal nicht vergönnt, weder äußerlich, noch innerlich. Natürlich wollen die meisten irgendwie als „junggeblieben“ wahrgenommen werden. Aber das erreichen wir wahrscheinlich nicht mit irgendwelchen Albernheiten, kindischen Sprüchen und Trinkspielen, auch wenn ich dafür immer noch zu haben bin. Wer für mich als „jung geblieben“ durchgehen will, der braucht besonders eines: Offenheit. Wer offen ist für Veränderung und neue Erfahrung, der bleibt in meinen Augen immer jung. Und vielleicht ist das ja gemeint, wenn wir vom „Kind in uns“ sprechen, dass wir uns bis ins hohe Alter die Neugierde, Unbefangenheit und Offenheit eines Kindes erhalten, auch wenn uns da unsere jahrzehntelange Lebenserfahrung zunehmend im Weg steht, weil wir oft schon glauben zu wissen, was geht und was nicht.
Dass wir Offenheit für Neues besitzen, stellen wir an diesem Wochenende dann doch noch grandios unter Beweis. In den Jahren zuvor gab es bei uns immer irgendwelche Aktivitäten, z.B. einen Spaziergang am Seeufer, Standup-Paddeling oder Frisbee spielen auf der Wiese. In diesem Jahr wollen wir einfach nur hier sitzen, chillen, quatschen, essen, trinken und hin und wieder mal zur Abkühlung in den See springen. Und so machen wir das auch, ganz offen und flexibel. Das nenne ich doch mal eine mutige Weiterentwicklung. Das schaffen wirklich nur „Junggebliebene“. 😂
Das soll es für heute erstmal gewesen sein. Danke für dein Interesse, bis bald und herzliche Grüße,
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