Über 30 Jahre lang in der Midlife-Crisis. Geht das?

Das bin NICHT ICH!

Für manche Menschen ist die Midlife-Crisis das pure Abenteuer, für andere eine reine Kopfsache mit endlosen Gedankengängen, Planspielen und der Suche nach Lebenssinn. Für andere manifestiert sie sich schon allein im Auseinanderdriften von Selbstbild und Spiegelbild. „Irgendwie hatte ich mich anders in Erinnerung oder zumindest eine andere, aktuelle Vorstellung von mir.“ So oder so ähnlich mag es der einen oder dem anderen Ü40er beim Blick in den Spiegel durch den Kopf gehen. Einige mögen lebenslang mit ihrem Spiegelbild d’accord oder gar davon begeistert sein, einige hadern ab 40 oder 50 mit ihrer Optik. Und dann gibt es auch noch die, bei denen die Midlife-Crisis nahtlos auf die Pubertät gefolgt ist.

Rocko Schamoni ist Musiker, Schriftsteller, Schauspieler und Clubbetreiber und nach eigener Aussage seit über 30 Jahren in der Midlife-Crisis. Wie bitte, was? Das habe ich ja noch nie gehört. Das widerspricht eigentlich den Aussagen mir bekannter Studien und Statistiken über die Midlife-Crisis.

Doch Rocko Schamoni weiß anderes zu berichten. In einem Interview mit Mopop antwortet er auf die Frage, wann er zum ersten Mal bemerkt hätte, dass sein Selbstbild und sein Spiegelbild getrennte Wege gegangen seien wie folgt:

„Ich kann das nicht an einem Tag festmachen. Ich kann nur sagen, dass ich mich eigentlich schon seit 30 Jahren in der Midlife-Crisis befinde, vielleicht sogar noch länger. Die hat extrem früh angefangen, direkt nach der Jugend, und seitdem nicht wieder aufgehört. Normalerweise guckt man sich ja im Spiegel an und denkt, okay, das wächst sich wieder zurecht. Da wurde irgendetwas eingenommen und das ist auch irgendwann wieder ausgedünstet. Das Unumkehrbare aber fiel mir irgendwann in den 40ern auf. Da dachte ich, jetzt bist du definitiv so. Das bleibt jetzt so, richtig fest und für immer. Das ist nicht von gestern Nacht, das geht nicht wieder weg. Wenn das hier 30-Jährige lesen, wissen die davon noch nichts, aber sie werden an einen bestimmten Punkt angelangen und denken dann: Scheiße, es ist echt wahr.“

Rocko Schamoni im Interview mit Mopop, Quelle: mopop.de (vom 27.09.2022, abgerufen am 19.03.2023)

„Das bin nicht ich!“ Ein typisches Gefühl in der Midlife-Crisis?

Dieses „Scheiße-es-ist-echt-wahr-Gefühl“ hat Rocko Schamoni 2022 in einen Song namens Das bin nicht ich verpackt. Auf dem Beipackzettel des dazugehörigen Albums All Ein heißt es dazu:

„Beim Blick in den Spiegel unangenehm berührt zu fremdeln, ist ein Phänomen, das jungen Menschen weitestgehend unbekannt sein dürfte. Wenn überhaupt, dann erleben sie es vielleicht nach einem eher unglücklich verlaufenen Friseurbesuch, nach einem durchgefeierten Wochenende oder noch am ehesten nach einer Schlägerei. Rare Erfahrungen, die nur unzureichend auf das vorbereiten, was die gnadenlose Zukunft für sie bereithält. Denn wer die Vierzig überschreitet, wird anfangs noch erstaunt und irgendwann vermutlich mehr oder weniger frustriert, aber definitiv von Jahr zu Jahr öfter feststellen: „Das bin nicht ich.“ Schlussendlich findet man sich resigniert damit ab, dass einem jene vertraute Gestalt, mit der man sich nach der Pubertät irgendwann arrangiert hatte, nur noch auf alten Fotos begegnet – das Bild, das man von sich selbst hat, wird dennoch nie wieder deckungsgleich mit dem eigenen Anblick, der munter weitermutiert.“

https://shop.hanseplatte.com/all-ein.html (abgerufen 19.03.2023)

Das bin nicht ich! (Official Video)

Rocko Schamoni – Das bin nicht ich (Official Video). Quelle: youtube

Das bin nicht ich – Lyrics

Du wachst am Morgen auf
und fühlst dich wie ein Knecht.
Du hast der Nacht gedient,
der letzte Sekt war schlecht.
Die Bilder sind verschwomm‘,
und die Gefühle auch,
der Körper rebelliert,
Befehle aus dem Bauch.
War das ein fremder Plan?
Was ist mir dir passiert?
Bist du vergiftet worden?
Wer hat das arrangiert?
Das Badezimmer ruft,
du siehst dein Spiegelbild,
den Menschen kennst du nicht,
der dir entgegenschielt.

Und du denkst …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

Und du sagst …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

Und du denkst …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

Ich kann mich gut erinnern,
das war nicht immer so.
Ich sah mal anders aus,
vom Scheitel bis zum Po.
Das Fett am Ellenbogen,
die welke Haut am Kinn,
das graue Haar im Schritt,
so macht das keinen Sinn.
Du sitzt mir gegenüber,
ich sehe deinen Blick,
in einem fremden Körper,
ist das ein fieser Trick.
Du reichst mir deine Hand,
sie zittert und ist alt.
Was ist mit uns passiert?
Warum ist mir so kalt?

Und ich denke …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

Und ich denke …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

So geht das jeden Tag,
immer ein Stückchen mehr,
denn du wirst demontiert,
von Gott, der macht das nebenher.
Du hast dein‘ Job gemacht,
die Schuldigkeit getan,
bald heißt es: „Ab ins Nichts!“
mit der Gespensterbahn.
Es gibt kein Recht zu bleiben
auf diesem Narrenschiff.
Du hast die Welt umrundet,
nun sitzt du auf dem Riff.
Dein reifer Körper pfeift schief aus seinem letzten Loch,
du möchtest reklamieren
und fährst zum Himmel hoch.

Und du sagst …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

Und du klopfst an und sagst …
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!
Das bin nicht ich!
Und ich kenne es auch nicht!

Das bin wirklich nicht mehr ich.

Interpret: Rocko Schamoni
Album: All Ein (2022)

Wie kann ich trotz Midlife-Crisis weiter in den Spiegel schauen?

Ich hoffe, dass dir beim Blick in den Spiegel nicht ähnliche apokalyptische Gedanken kommen wie Herrn Schamoni. Und sind wir doch mal ehrlich: Wessen Hautpartien kämpfen spätestens ab Mitte 40 bitteschön NICHT mit der Schwerkraft oder einsetzender Erosion? Wessen Haar bleibt lebenslang voll und verliert nicht an Farbe? Natürlich wollen wir alle beim Blick in den Spiegel ein wohliges und stimmiges Gefühl haben. Doch wahrscheinlich ist es dazu notwendig, dass wir von Zeit zu Zeit unsere Erwartungshaltung unserem Alter und unseren optischen Möglichkeiten anpassen. Wenn ich mit 50 unbedingt nochmal meinem 20-jährigen Ich begegnen will, sollte ich besser in alte Fotoalben schauen und nicht in den Spiegel. 😜

Das soll’s für heute gewesen sein. Danke für dein Interesse, bis bald und herzliche Grüße,

Till Aigner

Level X Gründer und Autor. Motto: Die Midlife-Crisis als Chance und Abenteuer begreifen.

Schreibe einen Kommentar

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner